Die Anlage ist schon von weitem zu sehen. Wie eine Krone thront das Stift Göttweig auf einem Ausläufer des Dunkelsteinerwaldes. An einem milden Tag im Mai folge ich einer Einladung, im Gästehaus der Anlage zu übernachten. Das Resultat ist überraschend: Ich entdecke Naturfeeling hinter Klostermauern.
Stift Göttweig – der Reiz des Unvollständigen
Denken wir doch mal kurz an Melk. Auch dieses Stift thront erhöht auf einem Bergsporn und zieht unweigerlich alle Blicke auf sich. Bei einem Besuch folgen die Pfade gut proportionierten Höfen, Stiegen und Zimmerfluchten. Wäre nicht der angrenzende Stiftspark, käme man innerhalb von Stift Melk kaum auf einen grünen Zweig.
Ganz anders verhält es sich in Göttweig. Nachdem ich ein kleines Tor durchschritten habe, führt mein Pfad noch immer leicht aufwärts. Niedrige Verwaltungsgebäude säumen zur Linken meinen Weg, rechts hingegen lenkt ein saftig grüner Hügel meinen Blick nach oben. Und plötzlich taucht dahinter die Stiftskirche auf, zunächst nur die Türme, allmählich folgt dann der ganze Bau.
Die Anlage wirkt uneinheitlich. Der barocke Bau ist an drei Ecken mit Zwiebeldachtürmen verziert. In der vierten Ecke tummeln sich Reste einer Burg. Leicht erhöht auf einem Hügel steht die kleine Erentrudiskapelle mit Wurzeln aus dem 11. Jahrhundert. Ihre Ausführung ist schlicht und so ganz ohne jeder barocken Zutat. Langsam dämmert es auch dem Laien: Die von Johann Lucas von Hildebrandt geplante Anlage wurde nie fertiggestellt. Teile des Vorgängerklosters stehen noch immer in der Landschaft und wirken wie kleine Ausflugsziele für den morgendlichen Spaziergänger unter den Stiftsgästen.
Deus communio est
Der Wahlspruch des Abts von Göttweig lautet „Deus communio est – Gott ist Gemeinschaft“. Darauf aufbauend ist das Kloster als Ort der Begegnung angelegt. Während meines Aufenthaltes begegnete ich vielen Menschen, darunter zahlreichen Jugendlichen im Schulalter und Pilgern aller Altersgruppen. Das Stift ist auch Standort einer Schule und eines Jugendgästehauses sowie regelmäßiger Veranstaltungsort von Exerzitien.
Das Gästehaus des Stifts Göttweig
Vergleichbar mit einem Hotel bietet Stift Göttweig Übernachtungsmöglichkeiten an. Die Zimmer sind modern eingerichtet. Wifi ist vorhanden, aus traditionellen Gründen fehlt jedoch ein TV-Gerät. Die Nachtruhe ist durch dicke Mauern gesichert, erst am frühen Morgen weckt mich das Geläut der nahen Stiftskirche. Das Aufstehen fällt leicht, es lockt ein großes Areal voller barocker aber auch burgähnlicher Strukturen für den Morgenspaziergang.
Das Frühstück nehmen wir im Stiftsrestaurant ein, von dessen Terrasse der Blick auf das weite Donautal fällt. Das Frühstücksangebot ist mit einem guten Hotel vergleichbar, natürlich probierte ich vom Kuchen aus Wachauer Marillen. Bei den Zimmern fällt der Blick wahlweise auf den Hof oder auf das Tal. Wer also gerne mit Blick auf die Wachau erwachen möchte, sollte nach einem Zimmer mit Talblick fragen.
Der Marillengarten von Stift Göttweig
Wer die Marille liebt, ist im Stift Göttweig gut aufgehoben. Eigentlich sind ja Klöster eher für Gärten voller Kräuter bekannt. Die Attraktion in Göttweig ist aber deren Marillengarten. Bereits am frühen Morgen spaziere ich durch einen Hain mit rund 50 Marillenbäumen. Nicht weniger als zwölf verschiedene Marillensorten kultivieren hier die Mönche von Stift Göttweig. Später probiere ich die Früchte in ihrer veredelten Form als Marillenlikör (27% Vol.) und als Marillenbrand (39% Vol.).
Feinschmecker finden entsprechende Marmelade, Nektar, Likör, Brand und Schokolade im Klosterladen gleich neben dem Stiftsrestaurant. Im Restaurant verwöhnt das Küchenteam seine Gäste mit Marillenknödel, Marillenbrezen und Marillenpalatschinken. Wer mehr über diese süße Frucht erfahren möchte, wird hier fündig: Wachauer Marille.
Die Stiftskirche
Für 6 Uhr abends haben uns die Mönche eingeladen, ihnen bei der Vesper zuzuhören. Eine schöne Gelegenheit, die Stiftskirche von innen zu besichtigen. Die Kirche bildet eine interessante Kombination aus gotischem Chor mit vollständigem Kreuzrippengewölbe und einem barockisierten Langhaus.
Letzteres ist in seinem Kern romanisch. Zwei unterschiedliche Baustile, die durch eine einheitliche blaue Wandfarbe dennoch wie aus einem Guss wirken. Die Blautöne der Wandfarbe erinnern mich spontan an die Kirche von Stift Dürnstein, die Geschichte der Farben mögen aber unterschiedlich sein.
Kurz vor dem Eintritt in die Krypta bin ich etwas überrascht, wie dünn die Decke an dieser Stelle zu sein scheint. Zumindest beginnt gleich über der Tür der Boden des Chors. Tief in der Krypta wirkt das Gewölbe dennoch wie jedes Gewölbe. Massiv und schwer. Gleiches gilt für das Epitaph des Gründers des Stifts – Bischof Altmann von Passau – zu sagen. Ich halte für ein paar Minuten inne, und überlege mir, wie es im Gründungsjahr 1083 auf diesem Berg ausgesehen haben mag.
Als ich die Stiftskirche kurz vor dem Einschlafen noch einmal im Licht der blauen Stunde betrachte, bin ich erneut von der Architektur beeindruckt. Die sehr flachen Zeltdächer, die vom Kreisrund der Kirchturmuhr durchbrochen sind, geben den beiden Türmen einen exotischen Touch. Zumindest habe ich solche Kirchtürme bisher noch nicht in Österreich gesehen.
Die Kaiserstiege im Stift Göttweig
Unter Freunden der barocken Architektur ist die Kaiserstiege des Stifts besonders geschätzt. Das größte Barocktreppenhaus Österreichs glänzt durch seine prachtvolle Decke, die die Apotheose Kaiser Karls VI. zeigt. Das wahrlich erhebende Werk stammt aus den Händen von Paul Troger. Hier erstrahlt das Stift in seiner ganzen Pracht. Ich würde sagen, die Vollkommenheit des Treppenhauses ist ein interessanter Kontrast zur Unvollständigkeit der Klosteranlage. Oben angelangt, durchschreite ich die Räume des Kaisertrakts.
Das Museum im Kaisertrakt
Die Räume im ehemaligen Kaisertrakt sind alljährlich Schauplatz einer Sonderausstellung. Zum Zeitpunkt meines Besuches informiert die Ausstellung „Hinaus in die Welt! – Göttweiger Mönche auf Reisen“ über die Fahrten der Geistlichen in theologischer und diplomatischer Mission. Dabei vermitteln die einzelnen Reisebiografien einen guten Überblick, wie sich die Reisequalität im Laufe der Jahrhunderte veränderte.
Blick unter das Dach
Am letzten Tag unseres Aufenthalts besuchen wir einen Teil des Dachbodens in einem Trakt des Stifts. Nach sechs Jahren Renovierung des Daches zeigt eine kleine Vitrine, aus welchen Ziegeln und Klammern sich das neue Dach zusammensetzt. Ich erfahre etwas über die Methode, ein Dach mit Ziegeln im Stil der Wiener Tasche zu decken. Ebenfalls interessant ist die Trägerkonstruktion des Dachstuhls, die dafür sorgt, dass das Gewicht der Ziegel nicht auf die Treppenhausdecke mit den wertvollen Fresken drückt. Für Statistiker: Im Laufe der sechsjährigen Renovierung wurden 523.000 Dachziegel verarbeitet.
Grafische Sammlung des Stifts Göttweig
Welche Funktionen erfüllen die burgähnlichen Reste von Stift Göttweig? Diese Frage führt zu einer anderen Attraktion des Stifts. Nach der Albertina in Wien besitzt das Stift Göttweig die zweitgrößte grafische Sammlung in Österreich. Diese Sammlung ist im alten Teil des Stifts untergebracht. Sie ist nicht öffentlich zugänglich. Eine Onlinedatenbank bietet dennoch Einblicke.
Fazit
Wer das Stift nur vom Vorbeifahren auf der Österreichischen Romantikstraße kennt, erahnt kaum die spezielle Atmosphäre dieser Anlage. Die Besucher entdecken hier eine Mischung aus drei Ecken imperialer Pracht und einer geradezu gemütlichen vierten Ecke mit alter Burg und gotischer Kapelle.
Quellen / Weiterführende Links
- Link Beschreibung des Stiftes Göttweig auf Wikipedia
- Link Offizielle Webseite des Stiftes mit Besuchszeiten
Offenlegung
Fotos und Texte entstanden im Rahmen einer Pressereise des Vereins Klösterreich. Die inhaltliche Gestaltung blieb zur Gänze mir überlassen.