Seit meinen Kindheitstagen geisterte in meinem Hinterkopf die Bagdad- und Hedjazbahn herum, die mir als der Gipfel des Abenteurertums im Nahen Ostens des beginnenden 20. Jahrhunderts erschien. Deshalb besuchte ich im Januar 2004 neugierig die vom DB Museum Nürnberg organisierte Ausstellung über diese beiden Bahnen.
Ausstellung (28.09.2003 bis 29.02.2004)
Schon der erste Raum stimmte mich in die Kultur der von der Bagdad- und Hedjazbahn durchzogenen Gebiete ein. So befand ich mich gleich am Anfang in einem Gewirr orientalischer Gewänder, Wasserpfeifen, sonstigem Geschirr und Gewürzen. Diese waren mit ihrem Geruch auch derartig dominant, dass ich mich auch mit der Nase auf das Kommende einstimmen konnte.
Auf einer großen Karte erfuhr ich bald darauf das erste Mal den genauen Verlauf und das Ziel der beiden Bahnen. Über den eigentlichen Zweck des Bahnbaus diskutiert man ja noch heute, aber davon später.
Zunächst sei nur erwähnt, dass zum Baubeginn der Bagdad- und Hedjazbahn, das Osmanische Reich nur mehr der „Der kranke Mann am Bosporus“ genannt wurde. Es lag bereits zu diesem Zeitpunkt militärisch, wirtschaftlich und finanziell auf dem Boden. Nahezu alle Gebiete auf dem europäischen Kontinent waren verloren gegangen. Ägypten war an die Engländer gefallen, die arabischen Stämme führten weitgehend ein Eigenleben.
Mit Hilfe der Bahnverbindungen von Istanbul über Bagdad nach Basra bzw. über Damaskus nach Medina und Mekka wäre das Osmanische Reich militärisch und wirtschaftlich stärker geworden. Durch eine Stichbahn nach Haifa am Mittelmeer hätten zusätzlich viele Wirtschaftsgüter den britisch dominierten Suezkanal umgehen können.
Ein paar Pin-ups zur Einstimmung
Aber noch war ich ja am Anfang der Ausstellung und die Bahn noch nicht mal auf einem Plan gezeichnet. Zur Einstimmung tauchte ich in das Istanbul der Jahrhundertwende. Fotografien verdeutlichten mir das damalige orientalische Gepräge der Zeit. Postkarten mit lasziv verschleierten Frauen zeigten mir aber, dass man schon damals (1900) einen Sinn für Pin-ups hatte.
Einen Raum weiter stieß ich dann auf den ersten Bezug zur Bagdad- und Hedjazbahn. Der deutsche Kaiser Wilhelm und seine Frau waren ein paar Mal beim Sultan des Osmanischen Reiches zu Gast gewesen und hatten sich demonstrativ auf die Seite des „Kranken Mannes am Bosporus“ gestellt.
Dabei entstand die Idee, durch den Bau von Eisenbahnen dem Osmanischen Reich wirtschaftlich und militärisch auf die Beine zu helfen. Zusätzlich winkten der deutschen Industrie schöne Aufträge.
Ein deutsches Bankenkonsortium übernahm die Finanzierung. Wer bei diesem Bankenkonsortium führend mitgemacht hatte, musste man mir dann gar nicht erst erklären. Auf den zahlreich ausgelegten Blaupausen und Konstruktionsplänen sah ich überdeutlich den Stempel der Deutschen Bank prangen.
In einem Film erfuhr ich später, dass sich das Engagement der Deutschen Bank finanziell nicht auszahlte. Allerdings sammelten viele deutsche Unternehmen hier erstmals internationale Erfahrungen, wie z. B. Philipp Holzmann, Krupp oder zahlreiche Lokomotivhersteller.
Welche Art von Lokomotiven konnte ich später immer wieder in Filmen sehen. Zu meinem großen Erstaunen scheinen viele davon noch heute in Betrieb zu sein.
Aber nicht nur Lokomotiven wurden für die Bagdad- und Hedjazbahn benötigt, sondern auch Wagen, Brücken und Bahnhöfe. Die Konstruktionszeichnungen hierzu aus nächster Nähe zu betrachten fand ich faszinierend, da ich selbst mal Pläne gezeichnet hatte.
Fotos und zweisprachige Erklärungen bereichern die Ausstellung
Die Erklärungen zur Ausstellung waren durchgängig in Deutsch und Englisch gestaltet, wobei ich die englische Übersetzung als besonders gut gelungen empfand.
Ab diesem Punkt veränderte sich die Ausstellung übrigens auf eine interessante Art und Weise. Parallel zu den alten Fotos und alten Ausstellungsstücken wurden Fotos aus dem Jahre 2000 gezeigt, die Mitglieder des DB-Museums und Eisenbahnfreunde auf einer Sonderfahrt mit der alten Hedjazbahn und noch ein paar anderen Routen geschossen hatten.
Verblüffend für mich war, dass die Unterschiede zwischen den Fotoserien hauptsächlich darin lagen, dass die modernen Fotos in Farbe angefertigt wurden. Die Lokomotiven und die Bahnhöfe scheinen die gleichen geblieben zu sein.
Die Geschichte der am Bau Beteiligten
Nach dieser Erkenntnis steuerte ich langsam einigen Biografien von deutschen Mitarbeitern an dem Projekt zu. Hier war es für mich faszinierend zu lesen, in welche Abenteuer sich damals die Menschen stürzten, um ihr Leben finanzieren zu können.
Für den Bahnbau wurde in Deutschland eifrig mit Plakaten geworben und viele Deutsche und Österreicher gingen damals in den Nahen Osten auf Montage. Manche machten Karriere und brachten es in der osmanischen Administration bis zum Ehrentitel „Pascha“.
Was für Rechte und Pflichten sie hatten, konnte ich in den Verträgen von damals nachlesen. Darunter gab es eine interessante Pflicht, die wir heute so wohl nicht mehr erwarten würden. Da die Trassen durch weitgehend unerforschtes aber wissenschaftlich interessantes Gebiet führten, waren die Ingenieure angewiesen, ungewöhnliche Dinge sofort zu melden.
In eigens gedruckten Anleitungen wurde ihnen erklärt, wie sie Eigenheiten in der Botanik und in der Fauna erkennen würden und wie sie mit archäologischen Fundgegenständen umgehen müssten. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass so faszinierende Stätten wie der Pergamonaltar oder die Königsgräber von Kommagene in Nerud Dagh von Ingenieuren und nicht von Archäologen entdeckt worden waren.
Die Taurusbahn und Agathe Christie
Inzwischen war nicht nur die Ausstellung, sondern auch der Bahnbau fortgeschritten. Ein Raum zeigte mir Fotos von der Taurusbahn. Diese verband Istanbul mit der Bagdad- und Hedjazbahn.
Mit dieser durchaus luxuriös ausgestatteten Taurusbahn fuhr vor vielen Jahren auch mal die britische Schriftstellerin Agatha Christie. Auf Ihren berühmten Roman „Mord im Orientexpress“ verwiesen deshalb auch einige Filmplakate in der Ausstellung.
Die verschiedenen Rollen der Hedjazbahn
Durch einen Vorhang verließ ich die Abschnitte über die Taurusbahn und Bagdadbahn und gelangte zur Hedjazbahn. Diese wies einige Eigentümlichkeiten auf.
Offiziell wurde sie gebaut, um den Hadsch, die traditionelle Pilgerreise der Moslems nach Mekka zu erleichtern. Zu ihrer Finanzierung trugen zu einem großen Teil gläubige Moslems bei.
Was die Moslems damals so auf ihrer Pilgerfahrt mit sich trugen und was die muslimische Frau tragen musste, konnte ich anhand einiger Originale sehen. Dabei fand ich es besonders interessant, die kunstvoll gearbeiteten Geschmeide vor dem Gesicht der Frauen aus nächster Nähe zu sehen.
Von ihrer Linienführung her betrachtet, war die Hedjazbahn aber auch geeignet die osmanischen Truppen an der Grenze zum britischen Ägypten zu versorgen bzw. die unsichtbare Grenze gegenüber den freiheitsliebenden Arabern besser zu überwachen. Die Beduinen hatten allerdings keine Freude mit dem modernen Dampfross, denn sie verdienten ihren Lebensunterhalt damit, die Pilger auf geführten Karawanen nach Mekka zu bringen.
Der Erste Weltkrieg und seine Folgen
So zeigte sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges rasch, was die Briten und aufständischen Araber am liebsten machten: Die Brücken und die Gleise der Hedjazbahn zu sprengen.
Diesen Zerstörungen war auch ein Teil der Ausstellungen gewidmet. Viele von uns kennen vielleicht den Film „Lawrence von Arabien“, wo sich der Archäologe und Schriftsteller Thomas Edward Lawrence als Saboteur entlang der Hedjazbahn betätigte. Auch ihm sind ein paar Filmplakate gewidmet, bzw. zeugen Fotos von seinem Zerstörungswerk.
Weil die Ausstellung nun schon kriegerisch geworden war, ging es gleich im selben Takt weiter. So sah ich recht kurios wirkende Bilder, die das Bündnis zwischen dem Deutschen Reich, der österreichischen k. u. k. Monarchie und dem Osmanischen Reich untermauern sollten. Dabei fiel mir auf, dass darauf die österreichischen Soldaten immer etwas leicht leger wirkten. Der österreichische Kaiser Franz Josef I. hingegen wirkte sehr müde. Tatsächlich starb er ja bald darauf.
Obwohl der militärische Aspekt immer offensichtlicher wurde, versuchte man damals trotzdem noch, in zahlreichen Büchern zu dokumentieren, wie wichtig die Bahn für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung von Europa wäre.
Die Verbindung der Bayern zu den Bahnen
In den ausgestellten Büchern aus den Jahren 1900 bis 1918 entdeckte ich z. B. ein in Weißblau gehaltenes Bändchen, das über die Wichtigkeit der Bagdad- und Hedjazbahn für die Zukunft Bayerns schreibt. Da fällt einem natürlich die Weißwurst aus der Hand.
Inwieweit die Bayern beim Bahnbau involviert waren, konnte ich dann daran erkennen, dass die Luftaufnahmen zur Bahn von der bayrischen Fliegerabteilung 300 gemacht wurden. Neben dieser militärischen Flugabteilung waren auch deutsche und österreichische Eisenbahnpioniere bzw. -soldaten im Einsatz.
Aber alles hat natürlich sein Ende, das traf auch für diese beiden Bahnen zu. Nach dem Ersten Weltkrieg verfielen große Teile der Strecken, während einige Teilstücke noch heute betrieben werden. Hier gefiel mir vor allem jener Teil der Ausstellung, wo man auf Bildern die Reste der Bahn im Wüstensand schön langsam versinken sah.
Ein langes Video über die Bahnen
Schön langsam versank ich auch in eine nachmittägliche Müdigkeit und setzte mich vor einen großen TV-Schirm in einem Zelt. Dieser zeigte das Video zur Ausstellung. Dabei handelte es sich um einen Zusammenschnitt von Filmaufnahmen, die im Jahre 2000 entlang der Taurus- und Hedjazbahn während einer Sonderfahrt entstanden.
Einige historische Bemerkungen und Fotos reicherten die Filmaufnahmen an. Insgesamt ein sehr schöner Ausklang zur Ausstellung, für den man sich genügend Zeit nehmen sollte (Dauer des Films: 45 min).
Fazit
Mit dem Besuch der Ausstellung habe ich bezüglich der Bagdad- und Hedjazbahn einen guten Überblick bekommen. Neben den rein sachlichen Informationen war es für mich besonders erbaulich, einen Blick auf alte Lokomotiven in bizarren Landschaften zu werfen. In denen das Bahnfahren heute noch immer so abenteuerlich zu sein scheint, wie vor 100 Jahren.