Direkt gegenüber dem Wiener Westbahnhof und an der belebten Mariahilferstraße befindet sich das Café Westend. Im Dezember 2007 nutzte ich eine Pause zwischen zwei Zugfahrten für einen Besuch und befand mich plötzlich auf einer Zeitreise.
Café Westend in Wien
Gleich nach dem Betreten wusste ich, dieses Café ist wunderbar alt. Mit alt meine ich jetzt nicht historisch alt. Eher alt im Sinne von schon lange nicht mehr renoviert.
Das hat den Vorteil, dass man schräge Dinge sieht. Zum Beispiel einen riesigen Kasten mit Sicherungen, die hinter Glas nur unzulänglich verborgen eine Attraktion für sich darstellen.
Oder ein alter TV Apparat im Raum für die Nichtraucher. Ein Apparat wie man ihn vielleicht vor 20 Jahren in der einen oder anderen Pension gesehen haben mag.
Der Hinweis auf das Clubzimmer ist über seinem Eingang in schönen Buchstaben aufgemalt, aber doch so vergilbt wie ein Plakat am Zaun eines vor Monaten geschlossenen Strandbades.
An den Wänden hängen Bilder aller Art. Bilder von Blumen, Kaffeehausszenen, Fotos von berühmten Leuten. Dazu noch diese Plakate, die Veranstaltungen ankündigen.
Bei den Tischen gibt es sowohl gediegene Exemplare mit Marmorplatte als auch einfache Tische. Wenn man nicht auf den Polstermöbeln sitzt, sitzt man auf derartig einfachen Stühlen, dass sie mich spontan an jene in meiner Mutters Küche erinnern.
Kleiderständer für alle
Speziell in meinem Bereich gab es jetzt – an einem Montagabend – mehr Kleiderständer als Gäste. Das sonst oft ärgerliche Wühlen in den Kleiderbergen anderer Leute wird also beim Verlassen des Cafés entfallen.
Dafür würde ich gerne einen dieser Kleiderständer mitnehmen, wirken sie doch wie Preisträger für industrielles Design aus der Zwischenkriegszeit.
Die Speisekarte bietet viel
Aber eigentlich wollte ich Kaffee trinken. Der Ober in elegantem Schwarz nimmt schnell meinen Blick auf und eilt mit der Karte herbei.
Die Karte umfasst vor allem österreichische Küche. Es gibt die bekannten Kaffeevariationen, einige Kuchen und natürlich auch Frühstück. Bei diesem fallen mir Raritäten wie zwei Eier im Glas auf.
Bei mir verstärkt sich die Meinung, dass das Westend eher in die Kategorie Cáfe-Restaurant fällt. Denn es offeriert eine große Anzahl von deftigen Speisen, mit denen man den knurrenden Magen füllen kann.
Beobachtungen bei einem Punschkrapfen
Ich bestelle einen Cappuccino, der hier mit einem Glas Wasser serviert wird. Dann noch einen dieser Punschkrapfen. Das ist eine österreichische Süßspeise.
Ich lasse meinen Blick schweifen. Das Publikum ist gemischt. Offensichtlich treffen sich hier viele Leute für ein nettes Gespräch. Auch ein paar Reisende vom Bahnhof haben sich hier eingefunden.
Schräg gegenüber sitzt ein älteres Schweizer Paar. Es probiert die Wiener Küche aus. Für beide ist merkbar jede Speise ein touristisches Abenteuer, während ich ja mehr aus Hunger esse.
Während ich also an meinem Punschkrapfen meinen Hunger stille betrachte ich die Decke. Im vorderen Bereich des Cafés ist sie noch mit schwerem Stuck und Gebälk ausgestattet.
Sieht richtig nobel aus. Weiter hinten wird die Decke einfacher, dafür sitzt man gemütlich entlang von mit Holz vertäfelten Wänden. Holz, das sich deutlich dunkler auch im Fußboden wiederfindet.
Zeitungen fand ich übrigens erst nach einigem Suchen, lagen sie doch vorne, wo die Gäste das Café über einen Windfang betreten. Das Angebot war nicht so groß, aber ich hielt mich ohnehin lieber an meine Bücher.
Fazit
Leider war mein Punschkrapfen bald zu Ende und es wurde Zeit zum Gehen. Beim Hinausgehen beglückwünschte ich mich noch mal, gerade diese Lokalität besucht zu haben. Einem Café, wo die Nostalgie nicht durch einen Innendekorateur erschaffen wurde, sondern wo diese Atmosphäre durch natürliche Alterung der Einrichtung entstanden ist.
Anmerkung vom Mai 2023: Seit diesem Artikel vom Dezember 2007 wurde das Café Westend 2x renoviert. Zuletzt wurde es im Mai 2023 neu eröffnet.