Östlich von Wien erstrecken sich die Ruinen der antiken Stadt Carnuntum mit bemerkenswerter Vitalität. Während das Erforschen der Römerspuren eher in wissenschaftlicher Stille stattfindet, laden die Rekonstruktionen antiker Bauten zu wiederholten Besuchen ein.
Vom Winterlager zur Provinzhauptstadt
Als der römische Feldherr Tiberius die römischen Grenzen bis an die Donau ausdehnte, errichtete seine Truppe hier unweit des Pfaffenberges eines von zahlreichen Winterlagern. Aus den hölzernen Palisaden sollte später eine Stadt mit nicht weniger als 50.000 Einwohnern werden.
Ständige Zwiste mit den nördlichen Nachbarn ließen diese militärischen Stützpunkte zu einem festen Legionslager anwachsen, dessen Mauern sich aber unter landwirtschaftlichen Flächen dem Blick heutiger Römerfreunde entziehen.
Die sich rasch entwickelnde Zivilsiedlung machte aber bald Karriere. Unter Kaiser Hadrian erhielt sie das Stadtrecht und führte den Namen Municipium Aelium Karnuntum.
Kaiser Lucius Septimius Severus erhob sie später zu einer Colonia und fortan hieß die prächtige Siedlung am Rande der Donauauen Colonia Septimia Aurelia Antoniniana Karnuntum.
Und irgendwie kam diese Stadt nie zur Ruhe. Während sie im Rahmen der Völkerwanderung immer mehr verfiel, entsteht sie seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wieder neu. Stück für Stück. Aber davon später mehr.
Grenzstadt für alte und neue Imperatoren
Geographisch betrachtet war Carnuntum eine Grenzstadt. Und dennoch gaben sich hier die römischen Kaiser quasi die Klinke in die Hand. Wer also auf den Wegen zwischen den einzelnen Attraktionen spaziert, wandelt in den Fußstapfen von so manchem Imperator.
Kaiser Marc Aurel verbrachte hier einen Teil seines letzten Lebensabschnitts, als er gegen die Markomannen kämpfte. Hier schrieb er auch an seinen Selbstbetrachtungen, die seither die Stoiker begeistern (wenn es für Stoiker so etwas wie Begeisterung gibt).
Septimus Severus hingegen startete in Carnuntum seine Kaiserkarriere, als ihn hier die Truppen zum neuen Imperator ausriefen. Ich frage mich, wo genau das geschah? Stand er auf den Stufen des großen Statthalterpalastes oder versammelte er seine Truppen im Amphitheater der Militärstadt?
Kaiser Diokletian war bereits Pensionär, als er im Jahre 308 n. Chr. in die Stadt an der Donau eilte, um Unklarheiten innerhalb der von ihm gegründeten Tetrarchie zu regeln.
Das Treffen der damals regierenden Kaiser plus Diokletian verdeutlicht, dass die Thermen und Unterkünfte der Grenzstadt Carnuntum komfortabel genug für eine Kaiserkonferenz waren.
Die Vorteile einer vorzüglichen Lage
Über eine vorzügliche Lage sind Immobilienentwickler und Archäologen wohl verschiedener Meinung. Für Archäologen ist es ein Hauptgewinn, wenn eine antike Stadt niemals überbaut wurde. Und genau das ist bei Carnuntum der Fall. Obwohl es sich bei der Colonia Septimia Aurelia Antoniniana Karnuntum um eine Provinzhauptstadt handelte, entwickelte sich daraus keine moderne Metropole.
Als Ergebnis sind die wichtigsten Fundamente der Stadt noch unter der Erdoberfläche nachweisbar. Freigelegt wurden sie nur teilweise. Ein Teil dieser Ruinen wurde als Grundlage für Rekonstruktionen verwendet, was wir heute als Stadtviertel in der Römerstadt Carnuntum erleben können.
Römerstadt Carnuntum
Früher sagte man wohl Archäologischer Park dazu. Heute heißt es Römerstadt. Auf jeden Fall wirkt die Römerstadt Carnuntum wie ein großes Freilichtmuseum auf mich. Neben niedrigen Mauerresten und unebenen Römerstraßen erheben sich hier auch vollständige Thermengebäude und Villen reicher Händler.
Wer dieses Freilichtmuseum besuchen möchte, braucht viel Zeit. Im rekonstruierten Stadtviertel verbirgt sich hinter jeder Tür eine neue Überraschung. Im günstigsten Fall ist es der prachtvolle Entspannungsraum einer Therme, im nicht weniger interessanten Fall ist es die genaue Rekonstruktion einer antiken Latrine.
Außerhalb des eigentlichen Parks geht das Suchen und Finden weiter. Zahlreiche bedeutende Zeugnisse der römischen Zeit verteilen sich über nicht weniger als zwei niederösterreichische Gemeinden und wollen erst entdeckt werden. Das reicht vom ikonischen Heidentor bis zum größten Römermuseum Österreichs.
Die Römer und der Sport
Brot und Spiele! Carnuntum verfügte über gleich zwei Amphitheater. Ein Theater war für die Zivilstadt bestimmt, das zweite befand sich am Rande des großen Legionslagers. Ich finde das beachtlich. Wie viele moderne Städte kennen wir, die zwei Sportstadien betreiben?
Die Umrisse der beiden Amphitheater sind noch gut in der Landschaft zu erkennen und sollten beim Spaziergang keinesfalls ausgelassen werden. Das Theater der Militärstadt belohnt den Anmarsch mit einer multimedialen Ausstellung zum Thema Gladiatorenkämpfe.
Amphitheater Zivilstadt
Aber auch das Amphitheaters der Zivilstadt hat etwas Besonderes zu bieten. Für viele Jahre bildete es mit seinen weißen Steinen inmitten grüner saftigen Wiesen einen optischen Leckerbissen.
Und dabei blieb es nicht. Seit die Archäologen die Reste einer Gladiatorenschule freigelegt haben, ziert die Rekonstruktion einer hölzernen Trainingsarena die Äcker gleich neben dem Amphitheater der Zivilstadt.
Heidentor
Vom Amphitheater können Unentwegte bis zum Heidentor weiterlaufen. Es liegt etwas abgelegen und bildet dennoch ein Symbol für viele österreichische Einrichtungen. So dient das ehemalige römische Monument als Symbolbild für den österreichischen Teil des Limes und fand auch seinen Platz im Gemeindewappen von Petronell-Carnuntum.
Das Legionslager
Zurück zum Militär. Leider wurden die Reste des Legionslagers bei Carnuntum zwar untersucht, aber anschließend aus konservatorischen Gründen wieder mit Erde bedeckt. Durch ein rekonstruiertes Legionslager zu spazieren hätte durchaus seinen Reiz für mich gehabt.
Persönlich hätte mich die Toranlage nach Osten (Porta principalis dextra) interessiert, die für eine standardisierte Militäranlage eine doch recht merkwürdige Form angenommen hatte.
Auch vom Statthalterpalast hätte ich gerne mehr gesehen. Aber leider müssen wir davon ausgehen, dass er im wahrsten Sinne des Wortes in den Fluten des sich ständig veränderten Donaustroms untergegangen ist.
Museum Auxiliarkastell
Aber dann entdecke in ein Hinweisschild zum Museum Auxiliarkastell. Denn der römische Limes wurde nicht nur von dem einen Legionslager gesichert. Gleich daneben befand sich die Garnison einer Reitereinheit.
Direkt über den Resten dieser militärischen Anlage erzählt heute das Museum Auxiliarkastell über die Geschichte und die Zusammensetzung dieser Truppe. Freunde der antiken Baukunst besuchen dieses Museum besonders gerne wegen der sich kreuzenden römischen Wasserleitungen im Keller.
Museum Carnuntinum
Die Fundstücke der Provinzhauptstadt und des großen Legionslagers fanden ihren Weg hingegen in ein ganz anderes Museum. Das Römermuseum Carnuntinum in Bad Deutsch-Altenburg zeigt die antiken Kleinfunde rund um der Römerstadt Carnuntum. Das im Jahre 1904 im Stil einer römischen Landvilla errichtete Gebäude gilt als das größte Römermuseum in Österreich.
UNESCO Weltkulturerbe Donaulimes
Zum Abschluss wird es noch mal elitär. Seit 2021 zählt der österreichische Teil des römischen Donaulimes zum Weltkulturerbe. Entlang dieser Linie deckten vier Legionslager, 14 Kastelle und weit über 20 Wachtürme die Grenze des Römischen Reiches. Ganz im Osten Österreichs sind die militärischen Anlagen von Carnuntum heute ein Teil dieses Welterbes.
Fazit
Die Reste von Carnuntum verteilen sich über zwei Gemeinden und laden zu einem sportlichen Spaziergang ein. Das Sichtbare reicht vom ikonischen Monument bis zur Römersammlung in antiker Atmosphäre. Die Rekonstruktionen bieten die Möglichkeit, den Lebensstandard der alten Lateiner mit allen Sinnen nachzuvollziehen.